Geschichte / Sozialwissenschaften

 

Geschichte - bloße Vergangenheit?

Die Welt hat sich schon immer verändert und heutzutage scheint sie sich immer schneller und dramatischer zu verändern: Globalisierung, Konflikte zwischen Nord und Süd, Ost und West, Religionen und Ideologien, Arm und Reich. Die Welt erscheint verwirrend und jeder Mensch versucht, sich darin zurechtzufinden und seine kulturelle und gesellschaftliche Identität zu formulieren. Aber gleichzeitig scheint alles um uns herum nebulöser zu werden. Was ist Fakt, was ist Gefühl? Wie unterscheidet man richtig und falsch? Warum sind die Dinge so, wie sie sind?

Ein historisches Bewusstsein hilft dabei, diese Fragen zu beantworten. Im Geschichtsunterricht betrachten wir einerseits Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik der Vergangenheit; aber auch gleichzeitig die Verbindungen zur und Kontinuitäten in der Gegenwart, denn eine Geschichtsbetrachtung, die nicht die Gegenwart miteinschließt, ist sinnlos. Gleichzeitig erhalten Sie im Geschichtsunterricht die solide Ausbildung im Umgang mit Texten und Argumentationsstrukturen, die notwendig ist, um in der heutigen Diskussion „Fake News“, Pseudoargumente und Pseudowissenschaft zu erkennen.

Geschichte1

In den ersten beiden Semestern belegen alle Studierenden am Westfalen-Kolleg das Fach Geschichte/Sozialwissenschaften. In der Qualifikationsphase, d.h. vom 3. bis zum 6. Semester, kann Geschichte als Grundkurs oder Leistungskurs gewählt werden. Die Inhalte in Grund- und Leistungskurs sind größtenteils identisch und werden im Leistungskurs vertieft und erweitert erarbeitet.


1. Semester

Im ersten Semester geht es um die generelle Frage, wie sich verschiedene Kulturbereiche berühren, sei es dadurch, dass Gesellschaften mit unterschiedlichen Traditionen und Überzeugungen aufeinandertreffen, sei es, dass Menschen aus einer Gesellschaft in eine andere Gesellschaft gehen, um dort dauerhaft zu leben. Im Geschichtsunterricht des Westfalen-Kollegs werden dabei zwei wesentliche Themen berührt.

a) Dortmund liegt im Ruhrgebiet und das Ruhrgebiet war schon immer eine Gegend, in die Menschen aus anderen Gebieten einwanderten. Das liegt an der wirtschaftlichen Bedeutung unserer Region im 19. und 20. Jahrhundert, als sie ein Zentrum des Bergbaus und der Kohle- und Stahlindustrie war. Arbeitskräfte wurden gesucht und Arbeitskräfte kamen; im 19. Jahrhundert aus dem Gebiet des heutigen Polen, das damals noch Teil des Deutschen Reiches war. Während des sogenannten „Wirtschaftswunders“ in den 1950er Jahren wurden umfangreich Arbeitskräfte aus Südeuropa, z.B. Italien und der Türkei angeworben. Viele dieser Menschen blieben und prägten die kulturelle Entwicklung, aber auch die Sprache der Region. Heute gibt es wieder andere Formen der Migration. Im Geschichtsunterricht schauen wir nach Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Besonderheiten dieser historischen Entwicklung.

Geschichte2 „Die Gastarbeiter kommen“ (Zeichnung Udo Schotten)

 

b) Im Mittelalter und in der Frühmoderne standen die muslimische Welt und die Welt des westlichen Europas in engem Kontakt. Spanien war muslimisch und es gab einen umfangreichen Waren- und Kulturtransfer in beide Richtungen. Der Kontakt war allerdings nicht immer friedlich, die Ausdehnung des islamischen Herrschaftsbereichs geschah als kriegerische Expansion und die christlichen Reiche Europas versuchten, die „heiligen Stätten“ des heutigen Nahen Ostens in den Kreuzzügen mit Gewalt zurückzuerobern. Im Unterricht betrachten wir Gesellschaft und Kultur der beiden damaligen Welten, wie die Kontakte und Konflikte aussahen und welche Lehren wir heute daraus ziehen können.


2. Semester

Die westlichen Gesellschaften haben eine demokratische, rechtstaatliche Grundordnung und sind nach Prinzipien gestaltet, die in der Tradition von Menschenrechten sowie bürgerlicher Freiheit stehen und die in Deutschland im Grundgesetz niedergelegt sind. Unsere Gesellschaft verfolgt das Ideal, dass die Welt nach rationalen und wissenschaftlich begründeten Gesichtspunkten verstanden und verhandelt wird. Aber diese Ideale müssen gleichzeitig nach innen und außen verteidigt werden, denn sie werden nicht von allen Menschen geteilt. Wer an unserer Gesellschaft erfolgreich partizipieren will, muss diese Prinzipien kennen und verstehen.

Geschichte3Wortwolke zu der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“, Frankreich 1789

 

Im Geschichtsunterricht des zweiten Semesters betrachten wir die Anfänge von Menschenrechten und die Entwicklung des modernen Staates nach diesem Verständnis. Wir blicken zurück auf die philosophischen Ursprünge des Menschenrechtsgedankens, die Formulierung des Denkens in der Zeit der Aufklärung und die Entstehung der ersten modern demokratischen Staaten im ausgehenden 18. Jahrhundert, vornehmlich in der Französischen Revolution von 1789. Aber auch hier betrachten wir Kontinuitäten und Unterschiede im Vergleich mit der Gegenwart und anderen historischen Beispielen.


3. Semester

Die Geschichte Deutschlands, Europas und der Welt ist entscheidend geprägt von den grundlegenden Veränderungen aller Lebensbereiche im 19. und 20. Jahrhundert, die in der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und den Beginn einer abermaligen Neugestaltung der Welt mündeten. Drei grundlegende Aspekte der Entwicklung werden im Geschichtsunterricht betrachtet:

a) Die rasante technische Entwicklung ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert wälzte alle Gesellschaftsstrukturen der vorindustriellen Welt grundlegend um. Die Einführung der Maschinenkraft durch die Dampfmaschine, die mechanisierten Produktionsweisen und die rationalistisch organisierte Arbeitsteilung hatten tiefgreifende Auswirkungen auf soziale Schichtungen, das Verhältnis von Land und Stadt sowie das Verständnis von Mann und Frau. Völlig neuer Bedarf an Gütern und an Strukturen veränderte politische Verhandlungen nach innen und außen, schuf Konflikte und Möglichkeiten, aber auch tiefgreifende Probleme und Leid. Im Unterricht betrachten wir diesen Komplex, fragen aber auch, welche Spuren diese industrielle Revolution im heutigen Ruhrgebiet nach dem Strukturwandel hinterlassen hat.

 

Geschichte4

Dampfmaschine (Creative Commons Zero)

 

b) Die technische Entwicklung des 19. Jh. ist nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig veränderten sich auch politische Vorstellungen in eine Richtung, die von Aufklärung und Revolution (zweites Semester) angestoßen worden war. Die aufsteigende Schicht des Bürgertums forderte von der alten Adelselite zunehmend Mitspracherecht im Staat und eine freiheitliche Gesellschaft ein – der Liberalismus entstand. Aber auch die Vorstellung, dass der Staat eine Gemeinschaft von Bürgern einer Nation sein solle und nicht ein an einen Fürsten gebundenes Herrschaftsgebiet, wurde vorherrschend. Es wurde diskutiert, was eigentlich eine Nation ist und wie sie sich von anderen Nationen abgrenzt, bis hin zu Formen der radikalen Ablehnung und gegenseitigen Verachtung, die im Rassismus gipfelte. All diese Diskussionen sind auch für uns heute von Bedeutung und in der öffentlichen Auseinandersetzung präsent.

c) Einerseits sind die Fragen nach Freiheit und Nation immer noch zentrale Aspekte der heutigen demokratischen Auseinandersetzung, andererseits waren sie in ihren extremen, ungebremsten Formen ursächlich für katastrophale Entwicklungen in der Welt und in Europa: die Ausbeutung der Welt durch imperialistische Mächte und der nationalistische Größenwahn, der in den Ersten Weltkrieg führte. Auch diese historischen Sachverhalte und ihre heutigen Folgen werden im Geschichtsunterricht betrachtet.


4. Semester

Die Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts, die wir im dritten Semester untersuchen, mündeten in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs, die das endgültige Ende der alten Welt der Könige und Adeligen bedeutete. Die industriellen Gesellschaften führten diesen Krieg als industriellen Tötungsprozess, Kriegstechnik, -organisation und -politik waren die Produkte der neugeformten, bürgerlichen Nationalstaaten. Wie konnte die Welt in diese Katastrophe taumeln? Bestehen ähnliche Gefahren auch heute, bzw. leben ihre Ursachen heute noch fort?

Erster Weltkrieg, die Zwischenzeit der Weimarer Republik, die NS-Diktatur und der Zweite Weltkrieg sind als Komplex aber nicht trennbar. Einige Historiker reden von einer langen, von einer Friedenszeit unterbrochenen Weltkriegsphase, die 1945 endete. Die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, seiner Entrechtung aller, seinem rassistischem Kriegswüten und dem ungeheuerlichen Massenmord an Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen, behinderten Menschen, an allen Unliebsamen, muss im Geschichtsunterricht einen wichtigen Schwerpunkt einnehmen. Wir Menschen im heutigen Deutschland haben zwar keine Schuld an diesen Verbrechen, aber wir tragen die Verantwortung dafür, diese Geschichte zu bewahren und die Lehren daraus für unser gesellschaftliches und politisches Leben zu ziehen. Deshalb betrachten wir im Unterricht die ideologischen und politischen Grundlagen dieser Diktatur und ihre Auswirkungen auf den Alltag der Menschen; aber auch den Versuch einiger, Widerstand zu leisten und gegen das Verbrechen anzugehen. Denn nur so können wir den heute immer noch virulenten Rassismus und Rechtsradikalismus erkennen und ihm widerstehen.

 

Geschichte5

„Unter deutschen Dächern: Reichstagsgebäude einst und jetzt“, Zeichnung Udo Schotten, 2020


5. Semester

Nach der allumfassenden Vernichtung, die der Zweite Weltkrieg in der Welt und ihren politischen Strukturen hinterließ, formte sich eine neue Weltordnung, deren Wurzeln zwar in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück reichten, die aber gleichzeitig einerseits völlig neu war, andererseits die Welt bis vor wenigen Jahrzehnten tief prägte.

a) Einerseits war die Welt bipolar zwischen zwei Ideologien gespalten: Der in der Industrialisierung vorherrschend gewordene Kapitalismus stand dem Kommunismus gegenüber, der seit der Revolution von 1917 mit der UdSSR in einer globalen Macht vertreten war. Beide Seiten bedrohten sich mit Nuklearwaffen und hielten die Welt über Jahrzehnte in einer ständigen Gefahr der gegenseitigen Vernichtung. Gleichzeitig prägte der ideologische Konflikt die Realpolitik aller Staaten nach außen wie nach innen. Deutschland stand vier Jahrzehnte buchstäblich auf der Grenze der Blöcke und war auch politisch in Ost- und Westdeutschland geteilt, eine tiefgehende Spaltung, die auch im dritten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung ihre Spuren hinterlässt. Wie ging man mit den Konflikten in der Welt um? Wie wurden sie unterschwellig in versteckten „Stellvertreterkriegen“ ausagiert, wie handelte man in akuter Kriegsgefahr, wie z.B. der Kubakrise von 1962, um den erneuten Weltkrieg zu vermeiden?

b) Die Zeit des „Kalten Krieges“, wie man die Konkurrenz der ideologischen Blöcke auch nennt, war aber auch die Zeit von Friedensbemühungen. Die UNO, d.h. die Organisation der Vereinten Nationen, sollte als Neuaufnahme des Völkerbundes aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg einen Ort darstellen, an dem der Streit zwischen Staaten politisch und nicht militärisch gelöst werden konnte, der aber auch eine Institution sein sollte, um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit in der gesamten Welt zu verbreiten. Wie konnte dies in der gespaltenen Welt des „Kalten Krieges“ gelingen? Wie erfolgreich war die UNO? Hat sie heute noch eine Bedeutung und wie sieht diese aus? All das sind Fragen, die wir im Geschichtsunterricht stellen.

c) Die UNO stellt ein Projekt internationaler Friedensordnung dar. Im europäischen Bereich sahen von Anfang an Nachkriegspolitiker wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den Zusammenschluss in der Europäischen Gemeinschaft als einen Weg, die „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich zu beenden und ein Zusammenwachsen des Kontinents über eine Wirtschaftsgemeinschaft zu erreichen. Die EU trägt bis heute diesen Doppelcharakter, wobei die politische Einheit in heutiger Zeit zunehmend in den Hintergrund gedrängt wird. Aus diesem Grund darf die friedensbewahrende Eigenschaft der EU im Geschichtsunterricht nicht vergessen werden und wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, wie die heutige Rolle der EU definiert werden kann, aber auch wie das besondere Verhältnis von Frankreich und Deutschland für Europa weiterhin bedeutsam ist.

 

Geschichte6

„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, 1948, Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, Briefmarke der UN New York, 1989 (Sammlung der Fachschaft)


6. Semester

Das sechste Semester ist sehr kurz und dient der Vorbereitung auf das schriftliche und mündliche Abitur. Dennoch betrachten wir abschließend einen Sachverhalt der deutschen Geschichte, der seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 bis heute für uns von großer Bedeutung ist: die immer noch spürbare „unsichtbare Mauer“ zwischen Ost- und Westdeutschland. Wie kam es zu der vierzigjährigen Spaltung? Welche Gründe gab es für einen Mauerbau und wie sah die gesellschaftliche Realität der Bundesrepublik und der SED-Diktatur im Osten aus? Woran scheiterte die DDR und welche Folgen hatte die Wiedervereinigung? Wie können wir die in den Köpfen der Deutschen immer noch bestehende Spaltung überwinden und welche Konsequenzen hat diese für unsere Demokratie?

 

Geschichte7

 Flagge der DDR (Creative Commons Zero)

 

Grundlegendes Prinzip der historischen Betrachtung ist immer die Verbindung von „früher“ und „heute“. Geschichte ist nicht die „Geschichte der Namen, Zahlen, Kriege“, sondern von Menschen, ihrem Denken, ihren Zielen und ihrem Streben, von den Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert werden und die sie zu überwinden versuchen. Der Geschichtsunterricht am Westfalen-Kolleg Dortmund versucht dem gerecht zu werden.


Das Curriculum ist auf der Grundlage der Vorgaben im Zusammenhang mit dem „Zentralabitur NRW“ konzipiert!

Link zu den Vorgaben fürs Zentralabitur und zu den fachspezifischen Operatoren und Aufgabenbeispielen:
Operatoren und Aufgabenbeispiele

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.