Bewegender Zweitzeugenbesuch von Judith Rhodes aus Leeds

20200305 ZweitzeuginBericht01Einen ganz besonderen Besuch bekamen Studierende des Westfalen-Kollegs sowohl während des Tages- als auch des Abendunterrichts am 05.03.2020 von Judith Rhodes aus der Dortmunder Partnerstadt Leeds. Judith Rhodes ist eine sogenannte Zweitzeugin, ihre Mutter gelangte als 16jährige 1939 mit dem letzten der Kindertransporte nach England und konnte damit vor dem Holocaust gerettet werden.

Das Schicksal der Mannheimer Familie Michel, so der Geburtsname von Judith Rhodes Mutter Ursula, die auch nach dem Krieg in England blieb, verdeutlichte zunächst eindringlich die Filmdokumentation „Koffer gepackt und überlebt“ . Sie zeigt wie die deutsche Familie Michel, der Vater Heinrich Beamter, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg und für Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, die Mutter Gertrud und die Töchter Lilli und Ursula, beide evangelisch getauft, zuerst nach und nach systematisch ausgegrenzt und bis auf Ursula schließlich vernichtet wurde.

Die Filmdokumentation hinterließ ein zunächst sprachloses, aber sichtlich emotional bewegtes Publikum. Anschließend folgte eine nicht minder emotional bewegende Diskussion. Während die Studierenden am Vormittag vorwiegend eine Diskussion um biografische Aspekte führten, standen am Abend Fragen um politische Dimensionen im Vordergrund. Vormittags fragten die Studierenden Judith Rhodes beispielsweise nach dem weiteren Schicksal Lillis und erfuhren, dass Judith zunächst bei Recherchen erfuhr, dass ihre Tante überlebt habe und in die USA ausgewandert sei, ein Irrtum wie sich herausstellte. Eine Frau aus Rumänien, selbst jüdische Auschwitz-Überlebende, hatte sich Lillis Identität „geborgt“, um in die USA gelangen zu können.
Thematisiert wurde auch die Tatsache, dass nach dem Krieg in der Bundesrepublik so viele Altnazis in einflussreiche Positionen gelangen konnten. Ms. Rhodes schilderte in diesem Zusammenhang wie willkürlich und respektlos Beamte mit Wiedergutmachungsforderungen ihrer Mutter umgegangen seien. Wichtig war den Studierenden auch Judith Rhodes Einschätzung zu den Ursachen von Rassismus und welche Maßnahmen dagegen ergriffen werden könnten. Den ersten Aspekt beantwortete sie mit der Vermutung, dass sich hier offensichtlich Züge aus der Frühzeit der Menschheitsgeschichte zeigten, die alles Fremde ablehnten. Für den zweiten Aspekt sah sie keine einfache Antwort, nur die Stärkung des Demokratieverständnisses könne dem letztlich vorbeugen.
Auf die Frage nach ihrer Einschätzung der Stolperstein-Erinnerungsarbeit, die auch ihre Familie mit einschließt, antwortete Judith Rhodes, dass sie diese mit Stolz erfülle, da dadurch die Erinnerung an ihre Familie fortdauere. Abends hingegen ging es etwa um die Frage, warum die Familie Michel Deutschland nicht eher verlassen habe. Judith Rhodes beantwortete die Frage damit, dass der Vater sich als Weltkriegsteilnehmer geschützt gefühlt habe und dass ihre Eltern sich überhaupt als Deutsche begriffen und nicht so einfach ihr Heimatland verlassen wollten und ab einem bestimmten Zeitpunkt auch nicht mehr konnten. Ein Studierender schilderte daraufhin wie seine Familie Anfang der 90er Jahre während des Jugoslawien-Krieges trotz aller Schrecken ebenfalls lange zögerten ihr Heimatland zu verlassen. So wurde der Bogen von dem Schicksal der Familie Michel hin zu aktuellen und aktuellsten politischen Ereignissen geschlagen.
Insgesamt zeigten sich die Studierenden morgens wie auch abends beeindruckt und dankbar für den Besuch von Ms. Rhodes, da hier statt durch abstrakte Zahlen durch ein persönliches Schicksal ein individueller Zugang zur Geschichte gewährt werden konnte.

Judith Rhodes, die bereits zum dritten Mal das Westfalen-Kolleg besucht hat und kurz vor dieser Veranstaltung in der Droste-Hülshoff Realschule zum gleichen Thema zu Gast war, bewertete die Veranstaltung positiv. Ihr Fazit: „Ich hoffe das Westfalen-Kolleg erneut besuchen zu können. Es gibt noch viele weitere Familiengeschichten zu erzählen, zu hören und politische Themen zu diskutieren.“ 20200305 ZweitzeuginBericht0320200305 ZweitzeuginBericht0220200305 ZweitzeuginBericht04

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