Filmprojekt Flucht und Vertreibung – Ein Interview mit der Cast

20171201InterviewmitFilmcast.jpgIm Sommer 2017 startete nach Vorarbeiten, die weit in das Jahr 2016 zurückreichen, am Westfalen-Kolleg ein Filmprojekt zum Thema Flucht und Vertreibung in verschiedenen Zeiten. Die dazu erarbeiteten Inhalte wurden am letzten Novemberwochenende in einem mehrtägigen Filmdreh festgehalten.

Im Interview mit den beteiligten Studierenden und Lehrenden liest man über die Entwicklung des Projekts.

In der letzten Novemberwoche hat jeder in der Schulgemeinschaft mitbekommen, dass die Vorbereitungen für den Filmdreh auf Hochtouren laufen. Nun sind die Szenen abgedreht. Könnt ihr den Weg zum Film beschreiben? Gibt es schon einen Titel?

Franziska Frömbgen: Der Film heißt „Race“. Der Begriff steht sowohl für „Rasse“ als auch für „Rennen“. Im Film wird viel gerannt. Die Handlung spielt sich zu drei Zeitpunkten ab, die mehrere Jahre auseinanderliegen: 1936, 1985 und 2017.

Gab es eine Drehbuchvorlage oder konntet ihr die Inhalte selbst bestimmen und erarbeiten?

Marius Wecker: Aus der Arbeit der Geschichts-AG hat sich als Bewerbungsgrundlage für Fördermittel der Themenkreis „Flucht und Vertreibung“ und weitere damit verbundene Kriterien ergeben. Wir wollten auf Rassismus, Flüchtlinge und Ausgrenzung der Juden eingehen. Dazu hat sich dann jeder Gedanken gemacht und diese der Gruppe bei den Arbeitstreffen vorgetragen. Gemeinsam wurden die Inhalte dann abgestimmt und wir begannen daran zu arbeiten. Alles Weitere entstand dann im Arbeitsprozess, in dem drei grundverschiedene Plots erarbeitet wurden. Für einen haben wir uns dann entschieden und ihn detaillierter ausgestaltet. Das war der Vorschlag von Elikem, einem ehemaligen Kollegiaten, und auf seiner Idee beruht das ganze Drehbuch. Cem Arslan, der uns als Regisseur mit seinem Filmteam unterstützte, hat dann aus unseren Vorgaben ein Drehbuch geschrieben, in dem sämtliche Szenen, Dialoge und Regieanweisungen nach unseren Ideen umgesetzt wurden.

Anja Wieber: Die ursprüngliche Idee zum Film hatten Sonja Büscher, eine weitere Kollegin der Geschichtsfachschaft und unersetzlich in Finanzdingen für das gesamte Projekt, und ich. Durch meine Moderationstätigkeit in der Filmbildung, aber auch durch unsere Zeitzeugenarbeit in Kooperation mit dem Jugendring Dortmund hatten wir den Regisseur Cem Arslan kennengelernt und ihn im Rahmen der erinnerungskulturellen Arbeit am Westfalen-Kolleg für ein Filmprojekt gewinnen können. Trotz der anfänglichen Skepsis vieler Sponsoren hinsichtlich der Offenheit des Entwicklungsprozesses und trotz des enorm hohen Verwaltungsaufwandes kamen die Fördergelder schließlich zusammen und die Geldgeber konnten davon überzeugt werden, dass gerade der Aspekt, dass das Projekt von den Studierenden selbst grundlegend entwickelt wurde, ohne vorgefertigte Anleitung, den besonders wertvollen Charakter ausmacht. Gefördert wird das Projekt von dem „Dortmunder Schulentwicklungsfonds“, ferner von „Kultur und Schule“, „Demokratie leben“ und „Aktion Mensch“.

In einem Film wird geschauspielert. Keiner von euch ist professioneller Filmschauspieler, manche hatten noch nie Berührung mit dem Theater. Gab es für die schauspielerische Leistung Anleitung?

Juliane Hardege: Als Theaterpädagogin habe ich die Gruppe in den zwei Monaten vor dem Dreh begleitet. Dabei fiel auf, dass ich mich oft zurücklehnen konnte, da die Partizipation und Motivation der Studierenden extrem hoch war. In den Theaterworkshops, die wir durchgeführt haben, wurde deutlich, dass die Studierenden durch die Beteiligung an dem Entwicklungsprozess ihr Ziel deutlich vor Augen hatten und eine hohe Selbstständigkeit bei der Arbeit zeigten. Dadurch war es sogar möglich, dass zu einem recht späten Zeitpunkt noch Rollen getauscht wurden.

Marius Wecker: Einige von uns haben ja schon Erfahrung im Bereich Theater aus anderen Projekten. Was uns beim Filmdreh auffiel war, dass man bei Theater und Film jeweils auf ganz andere Dinge achten muss.

Franziska Frömbgen: Beim Theater ist es ja so, dass man alles ganz übertrieben und groß darstellen muss, und man hat nur eine Chance, die Rolle gut zu verkaufen. Während man sich beim Film sehr stark in die Rolle hineinversetzen muss und für die Intensität einer Szene mehrere Anläufe möglich sind.

Marius Wecker: Die besondere Herausforderung ist beim Film, dass man sich nicht wie im Theater 90 Minuten lang in seiner Rolle bewegt. Es kann sein, dass man eine Szene zwei Minuten lang dreht, dann wird die Kamera neu eingestellt oder es erfolgt ein Wechsel von Zeit und Ort und dann ist man kurz in der Rolle drin und dann wieder raus. Dadurch ist es schwer, den Fokus auf das Schauspiel zu legen, weil man nie lange in seine Rolle schlüpft.

Wie viele Drehtage gab es?

Marius Wecker: Insgesamt haben wir an drei Tagen an verschiedenen Orten im Kolleg und der näheren Umgebung gedreht. Jetzt muss das Material noch nachbearbeitet und zusammengeschnitten werden.

Wie viele Leute waren an dem Projekt beteiligt?

Franziska Frömbgen: Bei den Hauptrollen sind wir 12 Beteiligte – Studierende und eine Lehrende – und dann kommen noch einige Komparsen, die beiden Lehrerinnen Eva-Maria Diers und Juliane Hardege als Theaterpädagoginnen, ein Studierender, der uns als professioneller Maskenbildner unterstützt hat, und das Kamerateam dazu. Im Schnitt waren wir an den Drehtagen immer 20 Leute.

Eure Gruppe bildet auf den ersten Blick eine starke ethnische und kulturelle Vielfalt ab. Hat das im Projekt hinsichtlich des Arbeitsthemas eine Rolle gespielt und was hat das mit euch gemacht?

Can Acar: Ich habe den Musterschüler vom Sportlehrer gespielt und musste den dunkelhäutigen Hauptdarsteller unter Druck setzen und anpöbeln. Das war für mich erstmal befremdlich, da ich mich privat nie so verhalten würde. Aber in der Rolle konnte ich es nachvollziehen, dass ein Musterschüler sich so verhält, wenn ein Konkurrent neu dazu kommt, der vielleicht bessere Leistungen bringt. In der Rolle als Elite-Nazi habe ich mich bedroht gefühlt, da ich nicht wusste, was da auf mich zukommt. In meiner Rolle musste ich rüberbringen, dass der Schwarze hier nichts zu suchen hat. Da musste ich mich natürlich von meinem privaten Weltbild lösen. Das war wirklich hart.

Daniel Haarmann: Mir fällt es schwer, über meine Gefühle in der Rolle zu sprechen. In meinem Text sollte ich den Hauptdarsteller als „Affe“ und „Bimbo“ bezeichnen. Das fällt einem dann nicht leicht.

Anja Wieber: Ich habe ja auch mitgespielt, obwohl das nicht meine ursprüngliche Absicht war. Und als wir die Szene an dem Teetisch zigmal gedreht haben und der Regisseur mir immer wieder zurief: „Mehr Gefühl, mehr Gefühl“, da dachte ich, also Filmschauspielerin das wäre ja gar nichts für mich. Ich sollte eine gewisse Wut auf das System haben und bei jeder Wiederholung musste ich mich neu sammeln und dachte, dass ich das nicht hundertmal reproduzieren kann. Dann gab es noch die Schreiszene draußen auf dem Sportplatz. Der Regisseur rief mir immer „Lauter, lauter!“ zu, das war eine echte Herausforderung für meine Stimme bei dem kalten Wetter. So ein Dreh macht was mit einem und es macht k.o..

Franziska Frömbgen: Ich fand es so krass, dass man die Stimmung bei jeder Szene so merkt. Es baut sich eine Grundstimmung am Set auf, die total überschwappt: ob das jetzt Anspannung ist oder Ergriffenheit – es überträgt sich auf alle Beteiligten. Viele, die hier mitgemacht haben, haben Migrationshintergrund und das war im Film gar nicht so spürbar, weil man teilweise in ganz andere Rollen schlüpfen musste und sich von seinem persönlichen Hintergrund gelöst hat.

Anja Wieber:  Zum Beispiel ist Sabri Moslem und er hat den Juden gespielt und Sumit ist Hindu und hat denselben Juden als junger Mann gespielt und das ist total faszinierend. Da habe ich wirklich auch nachgefragt, ob das gewollt ist.

Franziska Frömbgen: Ich muss ehrlich sagen, dass ich den beiden ihre Rollen abgekauft habe. Ich finde es gut, dass wir so tolerant mit Religion umgehen können.

Während des Interviews fällt auf, dass unter euch ein sehr guter Umgangston herrscht. Wie seid ihr als Team zusammengewachsen?

Franziska Frömbgen: Naja, wir haben uns im Arbeitsprozess kennen gelernt und mussten an einem Strang ziehen und an den Drehtagen saßen wir 10-12 Stunden aufeinander. Das war intensiv und wir haben uns sehr gut kennengelernt. Nach den drei Drehtagen hatte ich das Gefühl, dass wir richtig in die Filmhandlung eingetaucht sind, und dann war es seltsam am Montag darauf wieder zur Alltagsroutine zurückzukehren und mit Mitschülern in der Klasse zu sitzen, die ein normales Wochenende hatten. Auch wenn es übertrieben klingt: Es hat mein Leben verändert, weil man so viel gelernt hat und das Thema so viel mit einem gemacht hat.

Aylin Deniz: Das war wirklich unvergesslich und hat uns alle weitergebracht.

Gibt es eigentlich schon einen Termin für die erste Vorstellung?

Anja Wieber: Ein genaues Datum gibt es noch nicht, da auch noch eine kleine Szene nachgedreht werden muss. Aber im Februar 2018 soll der Film auf die Leinwand. Da wird es wahrscheinlich zwei Termine geben. Die Vorverhandlungen laufen mit dem Kino Sweet Sixteen im Dortmunder Kulturzentrum DEPOT.

Marius Wecker: Mir ist noch ganz wichtig zu sagen, dass wir vieles, was im Hintergrund gelaufen ist, was man nicht sehen und anfassen kann, Frau Wieber, aber auch Frau Büscher zu verdanken haben. Auch Frau Diers hat ganz viel beim Filmdreh am Laufen gehalten. Ohne sie hätte das Projekt nicht stattgefunden. Und dann hat Frau Wieber sogar noch einen draufgesetzt und eine Rolle übernommen. Vielen Dank dafür!

 

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